Internet Kommentare und ihr Eigenleben

Rave Video Comments Will Restore Your Faith in Humanity



Mittlerweile weiß man ja, dass die meisten YouTube-Kommentare mit Houellebecq-Romanen und den Todesstatistiken der Schlacht an der Somme zu den bedrückendsten Dingen gehören, die man lesen kann. Sogar wenn es ein Video von einem Elefanten ist, der einen Mops knuddelt, kann es passieren, dass du einem Shitstorm aus Rassismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit ausgesetzt wirst.

Aber jetzt haben wir für euch einige Kommentare rausgesucht, die einen nur glücklich machen und vor allem deinem wilden Partyleben endlich einen Sinn verleihen. Sie kommen meistens unter Musikvideos vor, besonders im englischsprachigen Raum, und sind romantisch, traurig und bereichernd zugleich. Da gibt es Geschichten von älteren Paaren, die sich zum ersten Mal geküsst haben, als gerade „Tiny Dancer“ lief. Oder richtig enthusiastische Leute bedanken sich mit einem Smiley dafür, dass jemand einen Death-Metal-Song hochgeladen hat. Und manchmal, aber wirklich nur manchmal, können YouTube-Kommentatoren sogar witzig sein.

Wenn du allerdings die schönsten und inspirierendsten Posts bei YouTube lesen willst, solltest du mal eine Rave/Hardcore-Playlist mit Songs aus den späten Achtzigern und frühen Neunzigern hochladen. Wenn diese Kommentare die Wahrheit erzählen—und warum sollten wir das bezweifeln?—, dann ging es beim Tanzen damals um Einigkeit und Euphorie und nicht darum, T-Shirts zu tragen, die deine Muckis betonen, oder Champagner-Piss-Wettbewerbe zu gewinnen. Vielleicht beinhalten diese Kommentare eine Moral, die moderne Clubgänger sich durchaus mal zu Herzen nehmen sollten.

„Sweet Sensation“ von Shades of Rhythm zum Beispiel versetzt Evilbones76 in eine andere Welt. Der Arme hat seither viel erlebt. Seine Eltern und Freunde sind gestorben, aber der Song erinnert ihn an die guten alten Zeiten, in denen er mit seinen Freunden LSD nahm und auf Raves ging:



Auch bei diesem Shades-of-Rhythm-Song, „Everybody“, drücken Paul Sweeney und MyJamsta ihre Liebe zu den guten alten Zeiten aus.





Mit ein bisschen Zynismus könnte man wahrscheinlich sagen, dass diese Kommentare nur die MDMA-getränkten Erinnerungen einer Generation von Über-30-jährigen Menschen sind, die mit ihren langweiligen Ehepartnern, mühsamen Kindern, Jobs und ihrer Verantwortung nicht klar kommen. Man könnte ihre Verklärung der „guten alten Zeiten“ als klägliches Gejammer von Leuten abtun, die die moderne Welt der Dance-Musik nicht verstehen, mit ihren Livestreams, Forumtrolls und leuchtenden Armbändern auf Raves.

Und das könnte sogar stimmen. Aber es ist unwichtig, denn diese Leute generieren hier ausgerechnet durch das Medium der YouTube-Kommentare pure Romantik. Unabhängig von der Erscheinung auf Positiva Records, die ihre proustartigen Drogenerinnerungen hervorrufen, scheinen diese Leute immerhin Fragmente von einer verlorenen Vergangenheit heraufzubeschwören, was hundertmal besser und lebensbejahender ist als der ganze andere Internet-Nostalgie-Quatsch.

MrMarywells' Kommentar zu „I Know“ von New Atlantic, zum Beispiel, beschreibt die Zeit der AIDS-Epidemie in San Francisco:



Bei manchen Kommentaren fühlt man sich wie ein voyeuristischer Zeuge, der den Ausbruch einer neuen—oder zumindest noch unbekannten—Bewegung unabsichtlicher Poeten beobachtet. Vielleicht sind einige der Kommentatoren dieser Videos hochgebildete Leute, die das Land regieren oder Jugendsendungen fürs Fernsehen machen, aber die meisten von ihnen sind höchstwahrscheinlich normale Menschen, die in ihren Jobs nicht die Möglichkeit haben, sich so offen auszudrücken.

Ich stelle mir gerne die Männer und Frauen vor, die da mit verschleiertem Blick in ihren neuen Häusern sitzen und darauf warten, dass die Kinder ins Bett gehen, sodass sie sich vor dem Computer in ihre sorglosen, Pupillen geweiteten Partytage versetzen können, in denen sie sich auf Raves in vollster Glückseligkeit ihre Psyche durchlöcherten.

Es wäre sicher traurig, wenn sie heute noch bei Outdoor-Raves zügellos zu „Voodoo Ray“ abgehen würden. Das machen die, glaube ich, nicht mehr. Diese Leute wissen, dass ihre Partytage vorbei sind, und sie schauen auf die alten Zeiten zurück, anstatt sie in peinlicher Form wiederbeleben zu wollen. So gesehen sind sie also Beispiele wehmütiger Sehnsucht statt rückläufiger Nostalgie.

So wie MrCockPirate bei „Closer to All Your Dreams“ von Rhythm Quest  schreibt, dass ihn das Leben seither nur enttäuscht hat:



Man erkennt an den sentimentalen Erinnerungen, in denen diese Leute getrunken, getanzt und gefickt haben, längst vergangene, zerbrochene Träume. Aber selbst jemand, der so entmutigt ist wie MrCockPirate, kann einigermaßen positiv an diese Tage zurückdenken. Und in einem Zeitalter, in dem die Leute bei einem Foto von vor sechs Monaten zusammenzucken, ist das schon ziemlich cool.

Offenbar bringt „40 Miles“ von Congress Erinnerungen an eine verflossene Liebe hervor:



Während Kathy Brown feat. Praxis mit „Turn Me Out“ Scott zurück auf ein Boot und in die Neunziger versetzt, wo er den besten Trip seines Lebens hatte:



Generell ist es faszinierend, wie stark Rave und Hardcore mit gewissen Zeiten und Orten verbunden werden. Es scheint fast so, als hätte die Kombination aus Musik und Drogen unendlich viele unvergessliche Momente im Leben der Leute kreiert und diese Songs sind eine Art Zeitportal, die sie zurücktransportieren. Wer weiß, vielleicht werden richtig viele Leute in 25 Jahren darüber reden, wie sie das erste Mal „Where Dem Girls At“ von Flo Rida und David Guetta gehört haben.

Das hier ist wahrscheinlich mein Lieblingskommentar:

74bumpkin schreibt hier nicht einfach nur über einen Club, eine richtig tolle MDMA-Erfahrung oder einen genialen Remix, sondern deutet eine komplette uns unbekannte Beziehung an, die es einmal zwischen Phil Davies aus Nantwich und Johnny gab (wer auch immer das sein mag). Eine Beziehung, die ihnen weggenommen wurde, wahrscheinlich von der neuen Verantwortung des Post-Rave-Exils, das nun mal das Erwachsenwerden mit sich bringt.



Ob sie kurz beste Freunde waren, zusammen Händchen haltend die Welt bereist haben oder sich in dem Moment tief in die Augen geschaut haben, als das Klavier in „Better Days“ anfing zu spielen—wir wissen es nicht. Aber die Tatsache, dass uns etwas so Banales wie ein YouTube-Kommentar über all diese Möglichkeiten nachdenken lässt, wie die Kontaktanzeige einer längst vergessen geglaubten Beziehung, das ist die wahre Macht des Internets und der Musik (und der Drogen).

Schön auch saint2perth, der in der Kommentarleiste zu „High“ von Hyper Go Go über seine Flucht zurück in die Vergangenheit berichtet, wo es alles gab, Drogen, Frauen und Musik:



Außerdem sind die Kommentare die wohl uneffektivste Anti-Drogen-Kampagne der Welt. Überfliegt sie (und glaubt mir, das habe ich getan) und ihr werdet sehen, dass buchstäblich niemand behauptet, Ecstasy hätte sein Leben oder sein Bankkonto zerstört. Es gibt auch kein machoartiges Rumprahlen, dass man ach so viel vertragen würde. Natürlich gibt es viele Gefahren, wenn es um Drogen geht, aber die Leute hier schreiben nicht über die ganz harten Sachen. Wenn es jemals Überzeugung braucht, dass eine Nacht auf E den Kater danach wert ist, dann findet ihr die hier.

Realizti, der „Devotion“ von Nomad  kommentiert, kann es selbst nicht ganz glauben, dass der ganze Drogen-Party-Lifestyle so viel besser ist als sein Familienleben heute:



Es ist erstaunlich, dass ein bisschen Browsen durch die Kommentare von Klavier-House-Beats dir die Hoffnungen und Träume einer ganzen Generation offenbaren. Ich habe das Gefühl, dass Kulturgeschichtsforscher einmal diese Kommentare auf die gleiche Art und Weise lesen werden wie Militärhistoriker die Aufzeichnungen von Stalingrad. Sie beschreiben eine Zeit, die nicht sonderlich gut dokumentiert wurde. Klar, es gibt das Doncaster Warehouse Video oder die Dokumentation Feiern. Aber für jemanden, der damals zu jung war, scheint nichts das Gefühl der Zeit so einzufangen wie diese Kommentare.



https://www.youtube.com/user/Narkoleptiker74/videos

Natürlich ist Nostalgie bescheuert und auf jedes Meisterwerk kamen ungefähr Hundert klischeebehaftete, langweile Ausschweifungen. Und wir müssen auch bedenken, dass damals gemusterte Boardshorts in waren. Trotzdem: Man hat das Gefühl, dass diese Leute die richtigen Vorstellungen hatten.
(via vice)

Mal ein Thema das die zwiespältige Natur der Kommentare im Internet (besonders bei YouTube) im Kern hat. Inzwischen ignoriere ich gänzlich die "Hater" und Spamer im Netz, jedoch dann und wann achte ich auf die Kommentare die aufrichtig, authentisch und einen kleinen Einblick in das Leben eines mir fremden Menschen geben, wo man trotz des gänzlich unterschiedlichen Lebens immer auch Gemeinsamkeiten entdeckt. Es gab schon Videos wo mich manch Kommentar lachen oder gar weinen lassen hat. Es ist schön diese Kommentare zu lesen und ich denke mir genau für solch Kommentare wurde diese Funktion erschaffen, anderen einen Einblick in seine Gedanken und mit dem Video verbundenen Assoziationen zu geben.

Es gibt auch Videos bei denen die Kommentare und die Musik ein harmonisches Gebilde ergeben können, wo die Kommentare wirklich 1:1 mit den eigenen, beim Hören verbundenen Gefühlen im Einklang sind. Dann wird der Kommentar nicht nur der Einblick in die Gedanken einer mir fremden Person, sondern auch zum Spiegel für die eigenen Gedanken und Empfindungen. Das ist sehr schön und interessant.

Hier ist ein Video das mich schon über 6 Jahre begleitet und ich schaue immer mal in der passenden Stimmung und Zeit rein, wo meine Gefühle und Gedanken mit dieser Musik, dem Video und auch manch Kommentaren verschmelzen und sich darin verlieren, das ist wirklicher Seelenstriptease und eine Offenbarung der Gefühle. Es ist schön dort manch Kommentar zu lesen der sich so sehr mit seinen eigenen Empfindungen deckt. Wenn das hier wer liest, schaut einfach mal in einem passenden Moment das Video an und lest ein paar Kommentare unter diesem:

Aphex Twin - Rhubarb On Classical Guitar



Ich zitiere mal ein paar:

The video makes this song. Simplicity, and a crappy recorder gave the video some 'homegrown' intimate feeling. Maybe that's what's being lost in commercial music. The feeling. This has a real vibe. Many times over the years I have just sat and listened to this on repeat. How can this bring so much thought and emotion in two chords. Amazing.
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one of the most real and human videos i've ever watched, stunning
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So simple, yet so emotional. It's inspiring, yet heart-wrecking at the same time. Seeing this video made me think of those times where I just had fun, nothing on my mind, no burdens, no work. It's fucking sad, that I work all the time and don't have as much fun as this, but then something comes to focus: For every bit of work, there is a reward. And you know what. I suddenly realize that working isn't all that bad, if it means I get to enjoy moments like these when I'm done.
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My best friend George died today. I didn't get to give a proper goodbye, but he was right. He was right about everything. A smile and a laugh shared in company is worth more than what we might think. It is worth a memory of love. I am going to miss you George. Thank you for teaching me how to love.
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As I was pondering my true well being in this society.I glanced upon my rose bud of ambiance,travelling the greatest depths of my mind,to discover a new world in my soul. Delving into the unknown void were my mental gain transcends into cosmic bliss.Sheltered within my being,lustful within my trust as I waft my particles.
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I come here for the gorgeous music but also to read the deep comments everyone leaves. It makes me feel so connected to you all to know you feel the same.
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The last time I checked here, was about 2 years ago. Once again, for no reason at all, I'm here, listening carefully. Watching it with dozens of moments from life passing through the head. And once more, I cry... for no reason. Maybe for pure and beautiful simplicity. Maybe for reading all of the great comments again. This little piece of art is like a shrine where I come to at any given moment just to think of life, to ease the mind. It is, by far, the most touching video I've ever watched.
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breathe life... we all have pains and losses over the years. this song..its the clearing, the quiet spot we go to where there's no fear. mistakes are forgotten, grudges fall away. a calm reminder to stop and nurture that place deep inside, our true, imperturbable essence...only peace can reach it. when we love others and ourselves, accepting the present with a whole heart, this place grows..until it includes everything, and all is one. if we live this way, i believe there will be heaven on earth
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Thank you for performing and posting this piece of music. It is one of the most moving pieces of music that I have ever heard. I once read that Apex Twin stated that all of the music on his ambient album came to him in dreams and that he was merely composing the music that was given to him in those dreams. The vibrations of certain music can be very powerful and moving, perhaps this piece of music comes from another place that is not of earth. I am grateful that you have posted this music.
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reminds me of my current life. my family is having a rough time now a days with money and such. and normally everyday am alone in my room normally wasting time online or something.. but yet even though my life is pretty bad right now i can always somehow find hope in the future.. and find happiness even in time of despair.. and normally it's because of music like this. thank you.
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I first found this video in 2007 when I was depressed and contemplated suicide. The feelings that surfaced when I watched it made me want to run away and let whatever was going to happen to me just happen. Then I forgot the name of the video and couldn't find it. A few years passed and I stumbled across it again. I felt the urge to runaway once more but it was instead to pursue a new life, not end it. The simplistic beauty of this video allows it to reach anyone and convey anything.
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Even though this combination makes me cry like a little girl. I keep coming back to see this video, definetly, this is the best video i've ever seen on youtube. I wish i could say more, but i can't, i just can't express what i feel using words.
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One of the best videos on YouTube... life is beautiful/sad/simple/perplexing/fragile/...

Auch ich habe das Video hier schon einige Male gepostet und meine Gefühle versucht in Worte zu fassen, ich habe inzwischen vieles gesehen, gehört und gelesen, doch kaum etwas war in dieser Kombination so aufrichtig wie die Kommentare anderer unter dem Video zu lesen. Ich zeige wenn ich unter Menschen bin nur selten meine Gefühle, doch alleine und vor dem Rechner mit dieser Musik und einem solch einfachen Video, kann in mir Tränen der Freude aber auch Traurigkeit gleichermaßen hervorbringen. Diese Momente sind da um sie mit vollem Bewusstsein zu genießen, denn sie sind es, die das Leben lebenswert machen und einen nicht aufgeben lassen, egal wie düster es um einen steht...

Mal eine humorvolle Art mit Kommentaren auf YouTube umzugehen, die Kommentare wurden hier im Stiel englischer Gentleman verfilmt die diese Kommentare in einem Dialog vortragen und genial schauspielern, von Hatern, über Spammern bis zur geistreichen Tiefsinnigkeit:

YouTube Comment Reconstruction - 'One Direction: What Makes You Beautiful'



The YouTube comment section can sometimes make you question humanity, so to cheer you up we're bringing you dramatic reconstructions of some of the best comment wars. This time it's between 'Sophie Danze' and 'Jilianlovesthebeibs' on "One Direction - What Makes You Beautiful."


YouTube Comment Reconstruction - 'GoPro: Fireman Saves Kitten'



In our continued attempt to make the YouTube comments even more dramatic, we turn our attention to the argument between 'Latinsha Duke' and 'MIKEFUCKINGWINS23' on the video "GoPro: Fireman Saves Kitten".


YouTube Comment Reconstruction - 'Brian Eno: An Ending (Ascent)'



This week the YouTube comments get deep and philosophical as 'LiamsCoolChannel' and 'Craig Jones' discuss the video "Brian Eno: An Ending (Ascent)".

https://www.youtube.com/playlist?list=PLCK5Lcs_vqSBnYdJb0U5-iBsR1V5FQYYI

Einfach genial diese simple, doch wirkungsvolle Idee in Kombination mit dem trockenen, britischen Humor. Bei manchen Kommentaren entstehen regelrechte Streitromane und Diskussionen oder auch interessante Dialoge.